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Was heißt in der Ehe schon Vernunft,[link widoczny dla zalogowanych]
Arnold Retzer nennt sein Buch „Lob der Vernunftehe" eine „Streitschrift". Soll er ruhig, wenn das die Auflagenzahlen in die Höhe schießen lässt. Für mich ist Retzer aber mehr ein altersweiser Salomo als ein streitbarer Samson. Auch den Terminus „Vernunftehe" sollte man erklären. Im Englischen sind „vernünftige Schuhe" (sensible shoes) Damenschuhe mit flachen Absätzen,[link widoczny dla zalogowanych], in denen man gut laufen, aber dafür weniger perfekt mit dem Hinterteil wackeln kann. Man denke also nicht unbedingt an die vernünftige Sekretärin und ihren vernünftigen Chef,[link widoczny dla zalogowanych], die heiraten, weil sie sein Einkommen genau kennt und er ihren Cappuccino und ihr perfektes Make-up schätzt. Um so etwas geht es hier nicht.
Das Wort „Ehe" steht im Buch, wie heutzutage ja nicht anders zu erwarten, auch für gleichgeschlechtliche Verbindungen und für solche ohne den Segen des Finanzamtes. Das ist aber mehr eine Konzession an den Zeitgeist. Arnold Retzer ist Psychologe und Paartherapeut, er erzählt hier von typischen Fällen aus der Praxis und macht sich seine Gedanken zur mehr oder weniger traditionellen Ehe. Das Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit den Gegebenheiten in unseren westlichen Industriegesellschaften. Eine Paartherapie kommt natürlich erst lange nach der Trauung, wenn es kriselt,[link widoczny dla zalogowanych], und den Doktor Retzer können sich vermutlich nur Besserverdienende leisten. Den aus solchen Therapieerlebnissen destillierten Ratgeber sollte man aber nach Möglichkeit vor der ersten (oder wenigstens nächsten) Hochzeit lesen und beherzigen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass eine solche Lektüre die terminale Ehe des Paul McCartney noch gerettet hätte.
Das Buch ist keine wissenschaftliche Untersuchung. Es ist ein pragmatischer Leitfaden von einem,[link widoczny dla zalogowanych], der seine Pappenheimer nur zu gut kennt. Man muss seinen Kindern ja auch tausendmal sagen,[link widoczny dla zalogowanych], dass Süßigkeiten Gift für die Zähne sind. Unsere Vorstellungen von der Zweierbeziehung sind kulturell bestimmt. Aus Romanen und Filmen haben wir recht unrealistische Vorstellungen übernommen.
Arnold Retzer versucht,[link widoczny dla zalogowanych], uns auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Seine Prinzipien sind recht einfach, aber das spricht ja nicht gegen sie. Ich möchte hier einmal behaupten, dass meine Oma Emma aus Gelsenkirchen-Buer das alles schon intuitiv beherrscht hat,[link widoczny dla zalogowanych], auch wenn sie nicht in der Lage gewesen wäre, es so elegant zu formulieren. Ich will die frohe Botschaft mal in meinen Worten zusammenfassen: Die Taube in der Hand ist besser als der Paradiesvogel auf dem Dach. Die beiden Partner sagen, dass ihre Beziehung zu 80 Prozent in Ordnung ist. Eigentlich ist das ein Traumwert,[link widoczny dla zalogowanych], da sollte man dem heiligen Judas Thaddäus jeden Mittwoch eine Kerze anzünden. Die Denkers aber machen teure Therapien und denken über eine Scheidung nach. Ein anderes namenloses Paar hat das Problem, dass der Mann seine Frau trotz häufiger Kohabitation nie zum Orgasmus bringt. Der Frau ist das aber eher unwichtig, sie ist trotzdem zufrieden. Die Hilfe vom Ehespezialisten benötigt nur der arme frustrierte Mann.
Das Buch lässt sich etwas schwer zusammenfassen, denn seine Botschaft ist, dass es keine festen Regeln gibt. Jede Ehe ist anders, nichts ist unverzichtbar. Wenn ich mich recht erinnere,[link widoczny dla zalogowanych], hat vor langer Zeit ein bayerischer Bischof, der seitdem unfehlbar geworden ist, einmal gesagt, das Schönste an der Liebeslust sei das gemeinsame Gebet. Ich kann ihm da nicht aus eigener Erfahrung zustimmen, aber eine von vielen Möglichkeiten ist auch das.
Nicht jedes Problem muss gelöst werden
Eine wichtige Erkenntnis ist zum Beispiel, dass man nicht jedes Problem lösen muss. Man kann auch mit ein paar Problemen leben, bis einen der Tod scheidet. Oder man sieht das Problem einfach nicht mehr als Problem. Ich bin inzwischen schon so weit, dass ich mir manchmal Sorgen mache,[link widoczny dla zalogowanych], wenn meine Frau nachts nicht schnarcht.
Das vierte Kapitel heißt „Gleichheit in der Ehe gibt es nicht". So etwas ist typisch für das Buch. Die Tiger werden reihenweise abgeknallt. Aber ach, es sind nur Papiertiger. Vermutlich hat noch nicht einmal Alice Schwarzer die Illusion, dass es die totale Gleichheit in der Ehe gibt oder dass sie auch nur erstrebenswert wäre. Dumm geschwätzt wird aber natürlich immer. Deshalb ist es trotzdem verdienstvoll,[link widoczny dla zalogowanych], solche naiven Vorstellungen systematisch zu hinterfragen. Natürlich ist immer ein Ehepartner gleicher als der andere. Ehen können freilich scheitern, weil sich ein Partner Sonderrechte herausnimmt. Sie können aber auch aus ganz anderen Gründen scheitern. Sechzig bis siebzig Prozent funktionieren sogar.
Manchmal reicht Zufriedenheit
So springt Retzer von einer Illusion zur nächsten und schwingt seine Sense. Natürlich müssen die Partner einander nicht alle Geheimnisse verraten. Das bewahrt ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Man darf und sollte auch im gegenseitigen Umgang vorsätzlich oder fahrlässig auf die sonst sehr wohl vernünftige kalte Objektivität verzichten. „Bei mir biste scheen, ooch abends nach zehn, ick habe wat Schönret nie jesehn." Innerhalb der Ehe bedeutet das Wort Vernunft etwas anderes als außerhalb.
Die Einstellung des Buchs zum Glück ist ähnlich wie die von Herrn Gustav Gans aus Entenhausen. Glück ist etwas Schönes,[link widoczny dla zalogowanych], aber wenn man daran arbeiten muss, dann ist es kein Glück mehr. Wem die Götter Glück schenken,[link widoczny dla zalogowanych], der sollte sich freuen, doch der zwanghafte Versuch, glücklich zu werden, kann auch mit einer unnötigen Trennung enden. Es muss ja nicht immer Glück sein. Zufriedenheit ist auch ganz angenehm.
Zivilisiertes Auseinandergehen
Und wenn es auch zur Zufriedenheit nicht reicht und die Ehe kaputt ist, dann sollte man so zivilisiert wie möglich auseinandergehen. Mit Ratschlägen dazu endet das Buch. „Die Vorstellung der versöhnlichen Trennung ist in den meisten Fällen eine Illusion." Wer das Buch gekauft hat, um seine Ehe zu kitten,[link widoczny dla zalogowanych], kann hier im Misserfolgsfall gleich weiterlesen.相关的主题文章：

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